Fünf Wochen auf einem Seismik-Schiff
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Anfang 2017 erhielt Troy Collier die einmalige Gelegenheit, im Rahmen des OMV Integrated Graduate Development-Programms Offshore-Erfahrung auf einem Seismik-Schiff in Neuseeland zu sammeln. In den fünf Wochen auf hoher See hat der angehende Geowissenschaftler jede Menge aufregende Ereignisse erlebt:
#TEXT#Als Geologe beschäftige ich mich mit der Interpretation von seismischen Daten. Aber um die Daten wirklich zu verstehen, muss man verstehen, wie sie erhoben wurden. Die Geophysiklehrbücher decken die Theorie zwar ab, aber das ist kein Vergleich mit der Erfahrung von fünf Offshore-Wochen auf einem Seismik-Schiff.
Troy Collier, Geologe bei der OMV Exploration & Production GmbH
Troy Collier: Mein Seismik-Offshore-Tagebuch
Ende 2016 begann eines der größten Seismik-Schiffe der Welt mit einer 3D-Seismikkampagne im Ausmaß von 16.000 km² vor der Ostküste Neuseelands. Und das Beste daran: Ich hatte das Glück, daran teilhaben zu dürfen. Aber ich fange lieber von Vorne an:
Meine fünfwöchige Offshore-Reise begann mit einem Hubschrauberflug zum Seismik-Schiff. Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich zur Arbeit geflogen bin. Vermutlich gibt es nicht Viele, die das von sich behaupten können…
Vor jeder Offshore-Reise muss ein Sicherheitstraining, ein so genanntes BOSIET (kurz für Basic Offshore Safety Induction and Emergency Training) absolviert werden. Es beinhaltet Trainingsschwerpunkte wie Sicherheitseinführung, Helikoptersicherheits & Absturztraining (kurz HUET für Helicopter Safety and Escape), Überleben auf See sowie Brandbekämpfung & Selbstrettung. Ziel des Trainings ist es, auf den Ernstfall vorbereitet zu sein. Das Ganze ist informativ, spannend und geht im wahrsten Sinne unter die Haut; zum Beispiel wenn man, fest angeschnallt auf dem Sitz eines umgedrehten Modellhubschraubers abwartet, wie dieser sich langsam mit Wasser füllt!
Auch an Bord des Schiffes hat Sicherheit allerhöchste Priorität. Gleich zu Beginn bekam ich eine umfassende Sicherheitseinschulung. Man erklärte mir Sammelstellen, Schwimmwesten, Feuerlöscher und die verschiedenen Alarmtypen an Bord. Ich lernte, was zu tun ist, wenn eine Person über Bord geht. Und man erklärte mir wie und wann die persönliche Schutzausrüstung bestehend aus Stahlkappenstiefel, reflektierendem Schutzanzug, Sicherheitshandschuhen und -brille zu tragen ist.
Gut in Sachen Sicherheit instruiert konnte ich mit meiner eigentlichen Arbeit als Geowissenschaftler beginnen. Wir Geowissenschaftler versuchen permanent, den erdgeschichtlichen Rätseln von Sedimentbecken auf die Spur zu kommen. Wir nutzen die fortschrittlichsten seismischen Techniken, um dem Untergrund seine wissenschaftlichen Geheimnisse zu entlocken. In meinem Fall bedeutete das die Durchführung einer Offshore-3D-Seismik, die jede Menge Informationen über die Geologie eines Beckens liefert. Anhand der Daten können wir abschätzen, wie wahrscheinlich es ist, unter dem Meeresgrund Öl und/oder Gas zu finden.
Was passiert bei einer Seismik?
Eine Seismik misst elastische Schallwellen, die von unterirdischen Gesteinsschichten oder Öl- und Gaslagerstätten reflektiert werden und an die Oberfläche gelangen, wo sie von einem Hydrofon aufgenommen werden. Geophysiker können die Daten dann interpretieren, abbilden und mögliche Bohrziele definieren. Außerdem sind seismische Daten für das wissenschaftliche Verständnis der komplexen Offshore-Geologie entscheidend. Das Schiff hat ein halbes Jahr lang rund um die Uhr seismische Daten erfasst. Nach der Datenerfassung dauert es allerdings ein ganzes Jahr, die Informationen zu verarbeiten, und noch ein weiteres Jahr, sie zu interpretieren. Als Geologe bin ich tagtäglich mit der Interpretation von seismischen Daten beschäftigt. Aber um die Daten wirklich zu verstehen, muss man auch verstehen, wie sie erhoben und verarbeitet wurden. Darüber wusste ich bis jetzt ziemlich wenig. In der Theorie decken die Geophysiklehrbücher das Thema zwar relativ umfassend ab. Aber das ist kein Vergleich mit der Erfahrung, fünf Offshore-Wochen auf einem Seismik-Schiff zu verbringen und eine 3D-Seismik in Echtzeit mitzuerleben.
Mehr Information gibt’s in unserem Video: Wie funktioniert Seismik?
Das Offshore-Leben
An Bord des Schiffs arbeitet jedes Mitglied des Seismik-Teams in einer speziellen Arbeitsgruppe: Acquisition, Navigation, Handling und In-Field Geo. Um ein Gefühl für die unterschiedlichen Teams und ihren Beitrag zu seismischen Untersuchungen zu bekommen, verbrachte ich eine Woche in jeder von ihnen und machte mich mit ihren Besonderheiten vertraut. Mir wurde schnell klar, dass die Crew-Mitglieder Hand in Hand arbeiten müssen, damit am Ende ein qualitativ hochwertiges Produkt herauskommt.
In meiner ersten Woche arbeitete ich im In-Field Geo-Team, das für die Verarbeitung der seismischen Daten zuständig ist. Ihr Ziel ist es, ein maximales Signal-Rausch-Verhältnis zu erreichen, indem sie die Störsignale so weit wie möglich eliminieren, ohne dabei das ursprüngliche Signal der reflektierten Wellen zu verändern. Da das In-Field Geo-Team eigentlich das letzte Glied in der Kette ist, war es eher ungewöhnlich, dort zu beginnen. Aber als Geologe interessiert es mich natürlich sehr, wie die Rohdaten unmittelbar verarbeitet werden, und zwar genau in dem Moment, in dem sie erfasst und auf Band aufgenommen werden. Es war ziemlich aufregend, einen sogenannten „Brute Stack“ (eine erste Annäherung an die seismischen Daten) zu sehen und sich dabei bewusst zu machen: „Ich gehöre zu den ersten Menschen, die diesen Teil des Erdinneren zu sehen bekommen“.
In der darauf folgenden Woche kam ich zum Acquisition Team. Es ist für die Datenerfassung zuständig und sorgt dafür, dass die Schallquellen innerhalb des Untersuchungsgebiets richtig erfasst werden. Die Teammitglieder halten die so genannten In-Sea Streamers intakt, damit die seismischen Daten korrekt und in hoher Qualität aufgenommen werden können. Dafür müssen sie regelmäßig mit dem Arbeitsboot rausfahren, diese zu reparieren, es war spannend, hier mitzufahren. Die Arbeit ist äußerst praktisch und abwechslungsreich. In einem Moment sitze ich noch vor dem Computer und überprüfe die hereinkommenden Daten – und wenige Minuten später bin ich im Arbeitsboot mehrere Kilometer hinter dem Schiff und repariere In-Sea Streamer, die Haibisse abgekommen haben.
In der dritten Woche ging es weiter zum Navigation-Team. Die Kolleginnen und Kollegen sind dafür verantwortlich, das Schiff auf Kurs zu halten, damit die Daten entlang der vorgezeichneten seismischen Linien erfasst werden, während sie gegen externe Elemente wie Wetter und Meeresströmungen ankämpfen. Sie müssen auch darauf achten, dass die In-Sea Streamer immer an der gleichen Stelle der Meeresoberfläche Stichproben sammeln, damit genügend Daten zusammenkommen, um das Signal-Rausch-Verhältnis zu erhöhen. Navigatoren tragen auch die Verantwortung für die Wartung aller GPS-Einheiten auf dem Seismik-Schiff. Diese sind für die Ermittlung der genauen Position jeder Quellenaktivierung und -ortung entscheidend. Nach Erstellung einer seismischen Sequenz fertigen die Navigatoren das so genannte P190 an; verarbeitete Navigationsdaten, die an die In-Field Geos weitergeleitet werden, damit diese die Seismik präzise in Raum und Zeit verorten.
Die letzte Woche verbrachte ich im Handling-Team. Das Handling-Team kümmert sich um die Wartung der Schallquellenapparate und um die gesamte Mechanik an Bord. Dazu gehören Hydraulikwinden, Hydraulikanlagen, Schweißgeräte, Luft-Hochdruckanlagen oder Monowings. Das Team sorgt dafür, dass die seismische Ausrüstung jederzeit in einem Top-Zustand ist und die technischen Voraussetzungen der Untersuchung erfüllt. Das ist für die ganze Unternehmung von entscheidender Bedeutung, denn ohne eine seismische Quelle gäbe es nichts zu erfassen.
Gesundheit, Sicherheit und Umwelt stehen an erster Stelle
Seismische Untersuchungen auf hoher See erfordern die uneingeschränkte Einhaltung von Gesundheits- und Sicherheitsvorschriften. Die Arbeit kann sehr hart sein, und das Meer verzeiht keine Fehler. Viele arbeiten in der Höhe oder sind den Meeresgewalten in kleinen Arbeitsbooten sitzend ausgeliefert. Aus diesem Grund müssen sich alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die HSE-Prinzipien (Health, Safety, Environment = Gesundheit, Sicherheit & Umwelt) bewusst machen und sie bei der alltäglichen Arbeit anwenden. An Bord jedes Seismik-Schiffes gibt es eine sicherheitsbeauftragte Person, die als Botschafter bzw. Botschafterin des gesamten HSE-Systems fungiert. Vor jeder Mannschaftsarbeit wird ein HARC (Hazard Assessment and Risk Control) durchgeführt, ein Meeting um mögliche Gefahren zu identifizieren und Risiken abzuschätzen.
Aber nicht nur die Sicherheit der Belegschaft an Bord hat allererste Priorität, auch dem Schutz von Fauna und Flora kommt eine große Bedeutung zu. In der OMV gelten strenge interne Standards zum Schutz der Meerestiere in der Umgebung seismischer Untersuchung. „Mitigationszonen“ werden als Gebiete rund um die seismischen Aktivitäten definiert; sobald sich eine der bedrohten Arten (kurz SOC – species of concern) im zuvor definierten Radius befindet, wird der seismische Betrieb sofort eingestellt. Qualifizierte Marine Mammal Observers (kurz MMOs – professionelle Beobachterinnen und Beobachter von Meerestieren) und Passive Acoustic Monitoring-Operators (kurz PAM – passive-akustisches Monitoring) an Bord kümmern sich darum. MMOs beobachten tagsüber von der Kommandobrücke aus mit Hochleistungsferngläsern das Meer, um Meerestiere zu identifizieren, die eventuell innerhalb der Mitigationszone auftauchen. Die MMOs sind befugt, den seismischen Betrieb stillzulegen, bis die Tiere die Mitigationszone wieder verlassen haben. PAM-Operators arbeiten rund um die Uhr und dienen als „Auge“ in der Dunkelheit. Sie lauschen dem Klicken und Pfeifen der Meeressäuger und ermitteln, wie nah sie sind. Gemeinsam sorgen MMOs und PAM-Operators dafür, dass das Wohl der Lebewesen im Meer während der Untersuchung nicht beeinträchtigt wird.
Am Ende steht der Anfang
Nach fünf Wochen unglaublich wertvoller Erfahrungen auf See, endet mein Seismik-Offshore-Tagebuch hier. Für die Onshore-Version gilt allerdings: Fortsetzung folgt! Jetzt, da ich vor Ort erlebt habe wie eine 3D-Seismik entsteht, werden meine erfahrenen Kolleginnen und Kollegen im Büro mir beibringen, wie man die Daten der 3D-Seismik interpretiert. Und so hoffe ich mit diesem Wissen und meinen Erfahrungen aus dem OMV Integrated Graduate Development Programm meinen Teil beizutragen – und schlussendlich Öl und Gas zu finden!
Besonderen Dank an die Schlumberger’s WesternGeco Crew, die mich als blutiger Offshore-Neuling an Bord willkommen geheißen hat.